Coronaviren und das „Severe Acute Respiratory Syndrome“ (SARS)

Was sind Viren?

  • Viren sind eine besondere Form infektiöser (ansteckungsfähiger)

    Strukturen, deren genetisches Material (Erbgut, Genom) entweder aus

    Desoxyribonukleinsäure (DNA) oder aus Ribonukleinsäure (RNA) besteht.

    Dieses ist von regelmäßig angeordneten Eiweißmolekülen (den

    Strukturproteinen), manchmal auch von einer weiteren, Fette (Lipide)

    enthaltenden Hüllmembran (envelope) mit charakteristischen Fortsätzen

    (Peplomeren, „spikes“) umgeben.

  • Viren sind sehr klein (ca. 20 bis 300 nm). Sie passieren daher

    Bakterien-dichte Filter und können nur mit dem Elektronenmikroskop

    sichtbar gemacht werden.

  • Im Gegensatz zu Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Protozoen)

    verfügen sie nicht über Stoffwechselenzyme für biologische Synthesen

    und sind deshalb auf die Enzyme einer Wirtszelle angewiesen. Sie werden

    nicht durch Teilung vermehrt, sondern ausschließlich von ihrer

    Nukleinsäure in der infizierten Zelle reproduziert.

  • Außerhalb einer Zelle existiert zumeist nur das infektiöse Viruspartikel (Virion).

  • Nur wenige Virostatika (chemische Substanzen, die durch

    Hemmung der Virusreproduktion eine Therapie virusbedingter

    Infektionskrankheiten ermöglichen) sind bekannt (z.B. gegen

    Herpes-simplex-Virus, Vaccinia-Virus, HIV).

  • Viren kommen bei Mensch und Tier (animale Viren), Pflanzen (Phytoviren) und Bakterien (Bakteriophagen) vor.

Coronaviren

Coronaviren sind behüllte, oft unregelmäßig geformte RNA-Viren mit einem Durchmesser von 120 bis 160 nm. In ihrer Hülle tragen sie ca. 20 nm lange Eiweißstrukturen (Glykoproteine), die ihnen im Elektronenmikroskop ein typisches Erscheinungsbild verleihen, das an eine Sonnenkorona erinnert (Korona [gr.-lat.: „Krone, Kranz“] - bei totaler Sonnenfinsternis sichtbarer Strahlenkranz der Sonne; auch Heiligenschein bei einer Figur). Die Infektiosität der Coronaviren wird durch Hitze, organische Lösungsmittel, bestimmte oberflächenaktive Substanzen und Formaldehyd sowie durch UV-Bestrahlung zerstört. Toroviren haben ähnliche Strukturmerkmale und bilden zusammen mit den Coronaviren die Familie der Coronaviridae. Diese Virusfamilie wird mit der wiederum ähnlichen Familie der Arteriviridae in der Ordnung Nidovirales zusammengefasst.

Einteilung der Coronaviren

Nach der Art der von Coronaviren ausgelösten Immunantwort werden drei „Serogruppen“ unterschieden. In die Serogruppen 1 und 2 werden Coronaviren des Menschen und verschiedener Säugetiere eingeordnet, in die Serogruppe 3 die der Vögel. Die stammesgeschichtliche (phylogenetische) Analyse bestimmter Abschnitte des Virusgenoms zeigt hiermit eine gute Übereinstimmung. Sie zeigt aber auch, dass einander sehr ähnliche Viren („Viruspaare“) im gleichen Wirt unterschiedliche Krankheitsbilder auslösen können. Dies ist in der Veterinärmedizin bei Coronaviren des Schweines oder der Katze seit Längerem bekannt.

Nachfolgend sind die Coronaviren der einzelnen Gruppen aufgelistet (Bezeichnung in englischer Sprache gemäß dem International Committee on Taxonomy of Viruses):

Gruppe 1:
Canine coronavirus
Feline coronavirus

        Feline infectious peritonitis virus
Human coronavirus 229E
Porcine epidemic diarrhea virus
Transmissible gastroenteritis virus

        Porcine respiratory coronavirus

Gruppe 2:
Bovine coronavirus
Human coronavirus OC43
Murine hepatitis virus
Porcine hemagglutinating encephalomyelitis virus
Rat coronavirus

        Sialodacryoadenitis virus

Gruppe 3:
Infectious bronchitis virus
Turkey corona virus

Coronaviren haben ein begrenztes Wirtsspektrum. Unter natürlichen Infektionsbedingungen infizieren sie nur ihren natürlichen Wirt oder eine sehr eng verwandte Art. Unter experimentellen Bedingungen ist es aber gelungen, ein Coronavirus des Schweines auf Hunde zu übertragen.

Das genetische Material der Coronaviren

Mit 27-31.000 Nukleotid-Bausteinen ist das Genom der Coronaviren das bisher größte in einem Stück vorliegende Genom eines RNA-Virus. Die Abfolge dieser Bausteine (Nukleotid-Sequenz) ist bei vielen Coronaviren vollständig bekannt. Bei der Virusvermehrung werden häufig Veränderungen im Genom (Mutationen) beobachtet. Sogenannte „Punktmutationen“ entstehen durch die „Ungenauigkeit“ des Enzyms, das die Vermehrung des Genoms durchführt. Häufig werden auch „Rekombinationen“ beobachtet, die durch den Austausch ganzer Genomabschnitte zwischen ähnlichen, aber nicht identischen Coronaviren entstehen. Solche Rekombinationsereignisse können auch mit dem Verlust größerer oder kleinerer Genomabschnitte („Deletionen“) verbunden sein. Es ist bekannt, dass solche Deletionen in bestimmten Genen die Virulenz (das ist der Grad der krankmachenden Eigenschaften), den Wirtszelltropismus (das ist die Art der für eine Virusvermehrung empfänglichen Zellen) und schließlich auch die Temperatur-Empfindlichkeit der Nachkommenviren beeinflussen können.

Vorkommen und Bedeutung der Coronaviren

Coronaviren sind weit verbreitet. Sie infizieren zahlreiche Säuger- und Vogelarten, bei denen sie sich vor allem in den Epithelien des Atmungs- und des Verdauungstrakts vermehren. Aber auch Zellen des Nervengewebes, des Immunsystems oder verschiedener Organe können infiziert werden. Die Viren können dort Erkrankungen auslösen oder auch ohne Schädigung des Organismus über eine längere Zeit verweilen (persistieren). Die Übertragung kann als Tröpfcheninfektion (aerogen), als Schmutz- und Schmierinfektion (fäkal-oral) oder auch einfach durch Kontakt (mechanisch) erfolgen. Infektionen treten gehäuft im Winter auf. Jüngere infizierte Organismen können schwerer erkranken als ältere. Störungen des Immmunsystems und die unterschiedlichsten Belastungssituationen verstärken die Krankheitserscheinungen. Coronaviren verursachen zwischen 15 und 30 % der Erkältungskrankheiten des Menschen („grippaler Infekt“), sie gelten hier eher als „harmlos“. Hierzu ganz im Gegensatz gehen die meisten der zahlreichen für die Veterinärmedizin bedeutsamen Coronavirus-Infektionen mit hohen Erkrankungs- oder sogar Todesraten einher.

Ätiologie (Krankheitsursache) des SARS

Das „Severe Acute Respiratory Syndrome“ (SARS), eine erstmals im Winter 2002/3 in Südwest-China beobachtete schwere Lungenerkrankung des Menschen, hat innerhalb weniger Monate auf viele Länder übergegriffen, vor allem unterstützt durch den internationalen und interkontinentalen Luftverkehr. Anfang April sind bereits annähernd 3.000 Erkrankungen mit über 100 Todesfällen bekannt geworden. Nach wie vor ist die Krankheitsursache nicht endgültig geklärt. Eine Virusinfektion gilt als sehr wahrscheinlich. Nachdem verschiedene andere Virusarten bei SARS-Patienten nicht nachgewiesen oder als „nicht wahrscheinlich“ ausgeschlossen wurden, mehren sich jetzt die Hinweise auf ein neues Coronavirus als mögliche Krankheitsursache. Dies stützt sich vor allem auf folgende Befunde:

 

  1. Von verschiedenen Patienten wurde an unterschiedlichen Orten ein Virus in der Zellkultur isoliert.

  2. In den Seren einiger SARS-Patienten konnte ein Anstieg

    spezifischer Antikörper gegen das von ihnen isolierte Coronavirus

    nachgewiesen werden (Serokonversion).

  3. Mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) wurde das

    genetische Material dieser Isolate als das eines neuen Coronavirus

    identifiziert.

  4. Mit der gleichen Methode konnte das genetische Material dieses

    Coronavirus auch in unmittelbar von Patienten gewonnenen Proben

    (Abstrichen) nachgewiesen werden.

  5. Die Nukleotidsequenzen der PCR-Produkte stimmten in allen Fällen überein.

Die phylogenetische Analyse der erhaltenen Nukleotidsequenzen zeigt, dass dieses neue Coronavirus dem bovinen Coronavirus und dem humanen Coronavirus OC43 aus der Gruppe 2, aber auch dem Virus der infektiösen Bronchitis aus der Gruppe 3 ähnlich ist.

Ist SARS eine neue Zoonose?

Zoonosen sind Infektionen oder Krankheiten, die wechselseitig zwischen Mensch und Tier übertragen werden können (WHO-Definition). SARS kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinesfalls als eine Zoonose angesehen werden. Jedoch sollte bedacht werden, dass angesichts der hohen genetischen Variabilität der Coronaviren ein „Wirtswechsel“, eventuell auch verbunden mit einer Steigerung der Virulenz, möglich ist. Auch sollten Tierhaltung und Tierhandel im südost-asiatischen Raum bedacht werden. Dort leben in den ländlichen Gebieten Mensch und Tier - Rind, Schwein, Huhn, Gans und Ente - oft dicht beisammen. Durch die Gepflogenheit des Kaufs von lebendem Schlachtgeflügel durch den Verbraucher kommt es auf Märkten oder in Markthallen zu einer Ansammlung verschiedener Geflügelarten unterschiedlicher Herkunft auf engstem Raum und damit zu einem engen Kontakt mit Käufern und Verkäufern, eine Situation, deren Bedeutung für die Entstehung von Influenza-Epidemien gut bekannt ist.

Schlussbemerkung

Trotz der genannten Hinweise auf eine Beteiligung von Coronaviren am Krankheitsgeschehen muss festgestellt werden, dass die Ätiologie des SARS noch nicht geklärt ist. Neben Coronaviren wurden weitere Viren isoliert oder mittels Elektronenmikroskopie und PCR nachgewiesen, vor allem Angehörige der Familie Paramyxoviridae, u.a. ein Metapneumovirus des Menschen (human metapneumovirus). Das histologische Bild der Lunge eines SARS-Patienten scheint weitestgehend dem der interstitiellen Pneumonie des Rindes (enzootische Pneumonie) zu entsprechen, die vom „bovine respiratory syncytial virus“ (BRSV) - einem Pneumovirus aus der Familie der Paramyxoviridae - verursacht wird (Eugen Weiss; persönliche Mitteilung). Wie Coronaviren können auch diese Viren - und viele weitere - im infizierten Organismus persistieren, ohne Erkrankungen auszulösen. Auch bei diesen ist eine große Variabilität des genetischen Materials bekannt.

Quellen

Granoff, A. und Webster, R.G. (Herausgeber): Encyclopedia of Virology, 2. Auflage. Academic Press, San Diego, California, USA, 1999.

van Regenmortel, M.H.V., et al. (Herausgeber) : Virus Taxonomy. Seventh Report of the International Committee on Taxonomy of Viruses. Academic Press, San Diego, California, USA, 2000.

Murphy, F.A., et al. (Herausgeber) : Veterinary Virology. 3. Auflage. Academic Press, San Diego, California, USA, 2000.

Mayr, Anton (Herausgeber): Rolle, M. und Mayr, A. Medizinische Mikrobiologie, Infektions- und Seuchenlehre. 7. Auflage. Enke Verlag, Stuttgart, 2002.

International Society for Infectious Diseases (ProMED-mail). http://www.promedmail.org

Autor:
Prof. Dr. Hermann Müller
Vorsitzender der Fachgruppe „Virologie und Viruskrankheiten“
in der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft e.V.

Anschrift:
Universität Leipzig
Veterinärmedizinische Fakultät
Institut für Virologie
An den Tierkliniken 29
04103 Leipzig
e-mail: virology(at)vetmed.uni-leipzig.de